Donnerstag, 23. April 2009

Kampf der Kulturen


von Ralf Bendrath (Original veröffentlicht bei Netzpolitik)

Kampf der Kulturen

Es geht in den aktuellen politischen Debatten um das Internet um mehr als nur unverbundene Einzelthemen. Es geht auch nicht nur um "das Internet" als Ganzes. Es geht auch um die Demokratiefähigkeit der kommenden Internet-Gesellschaft.

Auf den ersten Blick scheinen es einzelne Konflikte zu sein. Da diskutiert man momentan im Detail und sehr intensiv die Wirksamkeit und Verfassungsgemäßheit von Kinderporno-Sperren . Die Unterhaltungsindustrie fordert Sperren von Peer-to-Peer-Tauschbörsen oder Suchmaschinen wie Pirate Bay, wo das Urteil gerade Wellen schlägt . Second Life hat gerade angekündigt , dass man "Sex, Drogen und Gewalt" in ein gesondertes Rotlichtviertel verbannen will, das nur per Altersnachweis betreten werden kann. Die Bildungsministerin Annette Schavan hat sich nach dem Massenmord von Winnenden für die Zensur von "Gewaltseiten" ausgesprochen . Der geneigte Leser und die geneigte Leserin finden sicher noch mehr Vorstöße dafür, dass das Internet auf der Ebene der Inhalte kontrolliert und reguliert werden soll.

Wie hängen diese Themen und Auseinandersetzungen zusammen? Nur schulterzuckend mit dem beginnenden Wahlkampf zu argumentieren reicht auf jeden Fall nicht aus.

Die Zonierung des offenen Kommunikationsraumes

Worum es hier geht, ist die grundlegende Eigenschaft des Internet als offener Kommunikationsraum. Dieser soll nach den verschiedenen Regulierungs-Vorschlägen in nationale und regionale Territorien zerstückelt werden, daneben sollen Alters-Zonen für Erwachsene und Kinder eingerichtet und noch weitere Zäune gebaut und chinesische Mauern errichtet werden. Manche Gegenden dürfen von manchen Leuten schon gar nicht mehr betreten werden, oder wenn, dann nur nach dem Vorzeigen eines Ausweises . Auch die zeitliche Zonierung wird vorangetrieben: Während die von den Zuschauern bezahlten Beiträge der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nur maximal eine Woche lang bereitgestellt werden dürfen, wird anderswo schon über vorgeschriebene "Sendezeiten" im Internet nachgedacht .

Langsam fügen sich die Stücke zusammen, und die ersten Vorstöße zu einer allgemeinen Legitimierung der Inhalte- und Zugangskontrollen für das Internet tauchen auf. Susanne Gaschke schreibt heute auf der Titelseite der ZEIT, wie aus ihrer Sicht das Pirate-Bay-Urteil, die Kinderporno-Sperren und der Heidelberger Appell zusammenhängen: Es geht gegen "die Ideologen des freien Wissens" (Der Text ist konsequenter Weise nicht online verfügbar).

Und Jan Krone spricht sich ebenfalls heute bei Carta für eine umfassende Regulierung des Internet auf EU-Ebene aus:

Das Credo „im Internet darf jeder, was er will“ stellt zur regulatorischen Entwicklung anderer Verbreitungskanäle von Informationen wie Fernsehen oder Radio eine vergleichsweise lange Epoche dar; die jetzt ihrem unaufhaltsamen Ende entgegenschreitet.

Wie in der EU abschließend darüber gedacht wird, ist noch umstritten. Bei den Verhandlungen zuim Telekom-Paket scheinen die Netz-Aktivisten bislang erfolgreich dafür zu sorgen, dass es keine Inhaltekontrollen gibt. Aber der damalige Innenkommissar Franco Frattini hat bereits vor Jahren deutlich gemacht , worum es auch gehen kann:

I do intend to carry out a clear exploring exercise with the private sector … on how it is possible to use technology to prevent people from using or searching dangerous words like bomb, kill, genocide or terrorism.

Die digitale Freiheit und ihre Gegner

Was die Befürworter der Forderungen nach einer Kontrolle des Internet nicht verstanden haben, ist die spezielle Eigenschaft digitaler Medieninhalte. Sie können einfach beliebig und fast ohne Transaktionskosten kopiert, verteilt, verschlüsselt und gespeichert werden. Es wächst derzeit eine Generation heran, die sich daran gewöhnt hat. Diese Generation wird auch weiterhin von den technischen Eigenschaften Gebrauch machen und sich nicht an künstlich eingezogene Grenzen halten wollen. Wenn nach Pirate Bay auch die Torrent-Suche bei Google verboten werden sollte, dann tauscht man eben wieder auf dem Schulhof per USB-Festplatte oder Handy-Verbindung (das haben wir früher mit C-64-Games auch so gemacht). Die harte Pädophilen-Szene hat sich ja offenbar bereits auf diese Offline-Vertriebswege zurückgezogen . Und wenn die Regierung eine Great Firewall aufbaut um missliebige Feindsender auszusperren, dann gräbt man eben Tunnel .

Die Versuche, den freien Fluss von Meinungen, Informationen, Kommunikationen und Inhalten technisch zu kontrollieren, können prinzipiell in drei Richtungen ausgehen:

1) Sie werden ins Leere laufen. Damit hat man dann eine Situation, in der immer weiter verbreitete Kulturtechniken offiziell kriminalisiert sind, aber dies so gut wie keinerlei Auswirkungen auf das Nutzerverhalten hat. Ein solches Auseinanderklaffen von Recht und Rechtswirklichkeit kann und sollte auf Dauer nicht durchgehalten werden, weil damit die Idee des Rechts als legitimem Selbststeuerungsmechanismus der Gesellschaft insgesamt in Gefahr gerät.

2) Sie werden Umgehungsstrategien und -technologien provozieren, die die Transaktionskosten (wahrscheinlich nur marginal) erhöhen. Damit erzeugt man eine neue digitale Spaltung - zwischen einer neuen Info-Elite, die weiss, wo sie sich ihre Informationen beschaffen und ungestört kommunizieren kann, und denen, die das nicht können. Ob das für eine demokratische Gesellschaft und ihre Ideale von (Chancen-)Gerechtigkeit förderlich ist, wage ich zu bezweifeln.

3) Sie verwandeln den ersten vollständig transnationalen offenen Kommunikationsraum in eine kontrollierte Maschine, die nur noch das zulässt, was vorher technisch erlaubt wurde. Statt Sperrlisten hätten wir dann vom Ministerium für Wahrheit und Liebe herausgegebene Whitelists mit zertifizierten Webseiten, die wir uns zu vorgesehenen Uhrzeiten ansehen dürfen, und in Chats dürfte man nur noch die netten Wörter benutzen , die vorher ins System eingebaut wurden. Dass diese Version eine gesellschaftliche Dystopie darstellt, die mit einer freiheitlichen Gesellschaft nicht vereinbar ist, liegt auf der Hand.

Natürlich rede ich hier nicht dem freien Fluss von Dokumenten des Kindesmissbrauchs das Wort. Auch personenbezogene Daten sollten nicht frei im Netz umherschwirren können, und geschäftsmäßige Urheberrechtsverletzung verstößt im übrigen auch gegen die in diesem Blog verwendete Creative-Commons-Lizenz. Der Punkt ist aber, wie bei der normalen Kriminalitätsbekämpfung auch: Man muss an echte Menschen und wirkliche Täter heran, man muss abwägen nach öffentlichem Verfolgungsinteresse und Schwere des Vergehens, man muss sich auf fundamental veränderte kulturelle Praktiken auch einstellen können.

Wer dabei mit technischen Lösungen auf soziale Probleme reagiert, hat den Wandel, den wir gerade durchlaufen, nicht verstanden. Er hat vor allem nicht verstanden, dass der freie Fluss von Inhalten, Wissen, Kulturgütern und auch von unrasierten und ungewaschenen Meinungen insgesamt ein riesiger Fortschritt ist.

Glücklicherweise hat das die ZEIT verstanden, die heute neben Susanne Gaschke auch den Darwin-Biografen Jürgen Neffe über das "Ende des gedruckten Buches und seine multimediale Zukunft" schreiben lässt :

Wir sehen Venedig im 17. Jahrhundert, lassen uns durch Vatikan oder Pentagon führen, verfolgen den Briefroman mit der täglichen Mail oder erfahren den biografischen Hintergrund einer Schlüsselszene bei Robert Walser. Wir erleben Autoren im Ringen um ihr Lebenswerk, das sie immer weiter verfolgen und verändern. Andere schreiben runde Bücher mit unendlichen Geschichten ohne Anfang und Ende. Zettels Albtraum als Erfüllung der Träume von Walker Percy und David Foster Wallace mit seinen unsterblichen Fußnoten. Und nur ein Augenzwinkern entfernt, sämtliche Sekundärliteratur - goldene Zeiten für Kundschafter auf den Spuren des K., die mehr verstehen wollen, als sie allein begreifen können.

Der Kampf der Kulturen und die Zukunft der Demokratie

Dieser Kulturkampf, der sich gerade zuspitzt, verläuft zwischen den Vertretern der freien Informations- , Kommunikations- oder Wissensgesellschaft auf der einen Seite und denjenigen, die vor der neugewonnenen Freiheit Angst haben und sie begrenzen und umzäunen wollen.

Natürlich ist das kein reiner Generationenkonflikt zwischen "Digital Natives" und Internet-Ausdruckern und -wiedereinscannern . In jeder Generation (update: und in jeder Partei) gibt es Menschen, die sich an der hinzugewonnenen Freiheit erfreuen und solche, die sie fürchten. Da unterscheidet sich Deutschland nicht prinzipiell von China. Es könnte aber sein, dass die mit dem Internet und anderen digitalen Kulturtechniken aufgewachsenen Menschen stärker darauf drängen werden, diese Freiheiten auch weiterhin leben zu können. Wir hätten dann auch auf politischer Ebene einen demografischen Wandel hin zu liberaleren oder libertäreren Positionen zu erwarten.

Falls die klassischen Massenmedien und Unterhaltungskonzerne es nicht schaffen, dieser Entwicklung Ausdruck zu verleihen und sie auch in neue Formen von Öffentlichkeit und neue Geschäftsmodelle umzusetzen, dann werden die Kinder der neuen Freiheit ihre eigenen Medien und Öffentlichkeiten schaffen und Musik oder Filme weiterhin als kostenlose Wegwerfware verstehen. Das wäre tragisch, aber kein Untergang. Was noch fehlt, sind dann aber neue übergreifende politische Öffentlichkeiten, die die derzeitige Fragementierung der diversen Blogo-, Twitter- und Facebook-Sphären in persönliche Öffentlichkeiten und meinungshomogene Echo-Chambers überwinden können.

Falls aber die herrschende Politik (damit meine ich alle etablierten Parteien) darauf nicht reagiert und diesen kulturellen Wandel aufgreift, wird dies zu noch mehr Parteienverdrossenheit (nicht Politikverdrossenheit ) führen, zu mehr außerparlamentartischen Protesten, oder zum Erstarken von thematisch begrenzten Protestparteien. Diese Entwicklung macht mir mehr Sorgen, denn hier geht es um die Integrationsfähigkeit unserer Demokratie.

Es geht aber auch um die technisch bedingte Nachhaltigkeit unserer Demokratie. Wir müssen sehr aufpassen, dass mit all den den Kontroll-, Filter- und Überwachungstechnologien nicht mittelfristig eine Infrastruktur entsteht, die unglaubliche Missbrauchsrisiken birgt. Von Karl Popper stammt der Satz

"Wie können wir unsere politischen Einrichtungen so aufbauen, dass auch unfähige und unredliche Machthaber keinen großen Schaden anrichten können?"

Dass Institutionen und Technologien ähnliche Strukturen haben, wusste schon Arnold Gehlen . Beide sind mehr oder weniger rational geschaffene Werkzeuge, die Handeln ermöglichen, zu dem man als einzelner nicht in der Lage wäre. Spätestens heutzutage, in einer Welt, die so durchdrungen ist mit Technologien, muss Popper daher ergänzt werden durch die Frage:

"Wie können wir unsere technischen Infrastrukturen so aufbauen, dass unfähige und unredliche Machthaber damit keinen großen Schaden anrichten können?"

Es geht in den konkreten Auseinandersetzungen um die Regulierung und Kontrolle des Internet im Kern um die Frage: Soll man erst einmal alles zulassen und dann sehen, ob einzelne Gesetze übertreten? Oder soll man von vornherein versuchen, unerwünschtes Verhalten zu verhindern und potenzielle Übeltäter (also uns alle) präventiv zu überwachen und zu kontrollieren?

Was ich an anderer Stelle schon mal dazu geschrieben hatte , gilt heute umso mehr:

Die utopischen Visionen des Netzes basieren auf einem demokratischen Misstrauen der Bürger gegenüber dem Staat, die dystopischen auf einem autoritären Misstrauen des Staates gegenüber den Bürgern. Welche Vision sich am Ende durchsetzen wird, ist noch offen. Der Kampf zwischen ihnen wird allerdings auf beiden Seiten teilweise mit neuen Mitteln geführt, die das Internet erst möglich gemacht hat.

Mal sehen, ob die "Generation Internet" den Kampf gewinnt.


(Dieser Artikel steht unter der Creative Commons Nicht-Kommerziell Lizenz.)



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