Sonntag, 12. April 2009
Der leise Staatsstreich (Teil III)
Das ist die Fortsetzung (3/4) des faszinierenden Artikels vom ehemaligen IWF Chef-Ökonom Simon Johnson. Er betreibt auch das Blog "The Baseline Scenario", das ihr in meiner Blog-Liste findet. Ich bin auf ihn durch ein Interview mit Bill Moyers aufmerksam geworden. Er gehört für mich zu den wenigen Stimmen in diesem Dschungel, die es Wert sind, auf sie zu hören.
Sein Artikel "The Quiet Coup" erscheint in der Mai Ausgabe des "Atlantic" und ist jetzt schon online.
(Nachzügler werden hier fündig: Der leise Staatsstreich Teil I, Teil II)
Der leise Staatsstreich (Teil III)
Der Crash hat viele unschöne Wahrheiten über die Vereinigten Staaten aufgedeckt. Eine der alarmierendsten ist, dass die Finanzindustrie quasi die Regierung übernommen hat, sagt ein ehemaliger IMF-Chefokönom - ein Zustand, der eher auf Schwellenländer zutrifft und im Zentrum von vielen Krisen von Schwellenländern steht. Wenn das IMF-Personal offen über die USA sprechen könnte, würde es den Rat geben, den sie allen Ländern in dieser Lage gibt: Es gibt keine Erholung bis wir mit der Finanzoligarchie gebrochen haben, die grundlegende Reformen blockiert. Und wenn wir eine wirkliche Depression verhindern wollen, wird die Zeit knapp.
Amerikas Oligarchen und die Finanzkrise
Die Oligarchie und das sie unterstützende Regierungshandeln verursachten nicht allein die Finanzkrise, die letztes Jahr ausbrach. Viele andere Faktoren trugen als Randerscheinungen der Finanzwelt ebenfalls dazu bei, wie die viel zu hohe Verschuldung der Privathaushalte und die zu laschen Kreditbedingungen. Aber große Geschäfts- und Investmentbanken - und mit ihnen auch Hedgefonds - waren die großen Profiteure dieser doppelten Immoblilien- und Aktienblase des letzten Jahrzehnts: Das immer weiter gestiegene Transaktionsvolumen, das auf einem relativ kleinen Bestand an tatsächlichem, physischem Vermögen basierte, sorgte für Gewinne. Jedes Mal, wenn ein Kredit vergeben, gebündelt, verbrieft und weiterverkauft wurde, verdienten die Banken Transaktionsgebühren, so wie sich auch Hedgefonds immer höhere Gebühren einverleibten mit steigenden Anlagevolumen.
Weil alle immer reicher wurden, und der nationale Wohlstand so stark vom Wachstum der Immoblien- und Finanzmärkte abhing, fragte niemand in Washington was eigentlich los war. Statt dessen wiederholten FED-Chef Greenspan und Präsident Bush gebetsmühlenartig, dass die Wirtschaft grundsätzlich stabil sei und das ernorme Wachstum an komplexen Wertpapieren und credit default swaps ein Beweis für eine gesunde Wirtschaft sei, die die Risiken auf sichere Weise verteile.
Im Sommer 2007 tauchten die ersten Stresssymptome auf. Der Boom hatte soviele Schulden produziert, dass selbst ein leichtes Stottern der Wirtschaft massive Probleme hätte auslösen können, und steigende Ausfallraten bei Subprime-Hypotheken erwiesen sich als der Stolperstein. Seitdem verhielten sich der Finanzsektor und die Bundesregierung genauso wie man es erwartet hätte - unter dem Blickwinkel der vergangnen Krisen in Schwellenländern.
Jetzt stehen die Prinzen der Finanzwelt als Führer und Strategen natürlich mit runter gelassenen Hosen da - wenigstens in den Augen der meisten Amerikaner. Aber über die vergangenen Monate hinweg haben die Finanzeliten weiter angenommen, dass ihre Stellung als Lieblingskind sicher ist, trotz der Trümmer, die sie hinterlassen haben.
Stanley O´Neal, Vorstandsvorsitzender von Merrill Lynch, trieb quasi seine Firma in das Hypothekenverbriefungsgeschäft (mortgage-backed-securities market) auf dessen Höhepunkt in 2005 und 2006 . Im Oktober 2007 gab er zu:"Die Quintessenz ist: Wir - ich - habe mit dem Überengagement in Subprime daneben gelegen, und wir litten daher an der ungenügenden Marktliquidität. Niemand ist mehr als ich enttäuscht über das Ergebnis." O´Neal nahm im Jahr 2006 14 Millionen Dollar mit nach Hause. Im Jahr 2007 verließ er Merill Lynch mit einem Abfindungspaket im Wert von 162 Millionen Dollar, auch wenn es heute vermutlich viel weniger Wert ist.
Berichten zufolge verlangte John Thain, Merill Lynch letzter Vorstandsvorsitzender, im Oktober bei seinen Vorstandskollegen einen Bonus von 30 Millionen Dollar (oder mehr) und verringerte seine Forderung letztlich auf 10 Millionen Dollar im Dezember. Er nahm dann letztlich seine Foderung, die das Wall Street Journal verbreitet hatte, unter einem Proteststurm zurück. Merill Lynch war als Ganzes auch nicht besser: Sie zogen ihre Bonuszahlungen von insgesamt 4 Milliarden Dollar auf den Dezember vor, vermutlich weil sie die Möglichkeit ausschließen wollten, dass die Zahlungen durch die Bank of Amerika reduziert werden, die am 1. Januar Eigentümerin von Merill Lynch geworden ist.
Wall Street zahlte 18 Milliarden an Jahresboni an seine New Yorker Angestellten, nachdem die Regierung 243 Milliarden Dollar an Nothilfen an den Finanzsektor gezahlt hat. Bei einer Finanzkrise muss die Regierung sowohl schnell als auch mit aller Macht handeln. Die Wurzel des Problem ist Unsicherheit - in unserem Fall, die Unsicherheit darüber, ob die großen Banken genügend Vermögen haben, um ihre Verbindlichkeiten zu begleichen. Halbherziges Handeln in Verbindung mit Wunschdenken und einer Aussitz-Mentalität können diese Unsicherheit nicht beseitigen. Und je länger die Antwort ausbleibt, desto länger wird die Unsicherheit den Kreditfluss behindern, das Verbrauchervertrauen unterminieren und die Wirtschaft lähmen - schließlich wird das Problem viel gravierender. Bislang bestanden die grundsätzlichen Lösungsansätze der Regierung für die Finanzkrise aus Verzögerung, mangelnder Transparenz und mangelndem Willen, den Finanzsektor zu stürzen.
Das bisherige Handeln läßt sich vielleicht am besten umschreiben mit "Handeln durch Verhandeln": Wenn ein großes Finanzinstitut in Schwierigkeiten gerät, dann organisierten das Finanzministerium und die Notenbank einen Rettungsplan (bail out) über das Wochenende und am Montag verkündeten sie dann, dass alles in Ordnung sei. Im März 2008 wurde Bear Stearns an J.P. Morgan verkauft, was für viele wie ein Geschenk an J.P. Morgan aussah. (Jamie Dimon, Chef von J.P. Morgan, sitzt im Vorstand der FED New York, die zusammen mit dem Finanzminister den Verkauf vermittelt hat). Im September haben wir den Verkauf von Merill Lynch an Bank of Amerika gesehen, die erste Rettungsaktion für AIG, die Übernahme und den sofortigen Verkauf von Washington Mutual an J.P. Morgan - alle vermittelt durch die Regierung. Im Oktober wurden neun große Banken alle am gleichen Tag hinter verschlossenen Türen in Washington rekapitalisiert. Im Gegenzug gab es nachfolgend die zusätzlichen Rettungsaktionen für Citigroup, AIG, Bank of Amerika, Citigroup (erneut) und AIG (erneut).
Einige dieser Aktionen mögen vernünftige Antworten auf die aktuelle Situation gewesen sein. Aber es war niemals klar, welches Interessengemisch wie bedient wurde. Finanzminister und Notenbank haben nie nach vorher veröffentlichen Leitlinien gehandelt, sondern einfach eine Vereinbarung ausgearbeitet und nachher behauptet, das sei das Beste gewesen, was man unter diesen Umständen hätte erreichen können. Dies waren Mitternachts-, Hinterzimmergeschäfte, ganz einfach.
Die ganze Krise hindurch war die Regierung extrem darauf bedacht, bloß nicht die Interessen des Finanzsektors anzutasten oder die Grundsätze des Systems in Frage zu stellen, das uns hierher gebracht hat. Im Semptember 2008 beantragte Henry Paulson beim Kongress 700 Milliarden Dollar um den Banken vergiftete Wertpapiere abzukaufen, ohne Beschränkungen und ohne Möglichkeit einer rechtlichen Nachprüfung der Entscheidungen. Viele Beobachter hatten den Verdacht, dass für die Wertpapiere zu viel bezahlt werden sollte und damit das Problem den Banken abgenommen werden sollte - in der Tat ist dies die einzige Möglichkeit, wie der Aufkauf von vergifteten (Schrott-) Wertpapieren hätte nützen können. Vielleicht weil es keinen Weg gab, für diese offensichtliche Subvention politische Akzeptanz zu gewinnen, wurde der Plan zurück gestellt.
Statt dass das Geld dafür benutzt wurde, um die Banken zu rekapitalisieren, wurden Anteile von diesen gekauft zu sehr großzügigen Konditionen. Als sich die Krise verschärfte und die Finanzinstitute noch mehr Hilfe benötigten, erfand die Regierung immer kreativere Wege, den Banken Zuschüsse zu geben, ohne dass die Öffentlichkeit dies aufgrund der Komplexität nachvollziehen konnte. Das erste Rettungspaket für AIG, das noch relativ steuerzahlerfreundlich war, wurde ergänzt durch drei weitere Stützungsaktionen, deren Bedingungen eher AIG-freundlich waren. Das zweite Rettungspaket für die Citigroup und das Rettungspaket für die Bank of Amerika beinhalteten komplexe Ausfallbürgschaften, die den Banken unter Marktpreis gewährt wurden. Das dritte Rettungspaket für die Citigroup Ende Februar verwandelte Vorzugsaktien des Staates in Stammaktien unter Zugrundelegung eines wesentlich zu hohen Aktienkurses - das ist ein Zuschuss, den wahrscheinlich selbst die meisten Wall Street Journal-Leser beim ersten Lesen übersehen würden. Und die neuen Wandelvorzugsaktien, die das Finanzministerium unter dem Financial Stability Plan aufkaufen wird, sehen vor, dass den Banken und nicht der Regierung das Ausübungsrecht zusteht, so dass der Vorteil auf ihrer Seite ist (Anm. da sie entscheiden, ob sie von der Option Gebrauch machen oder nicht, je nach wirtschaftlicher Entwicklung).
Der letzte Plan, mit dem wahrscheinlich billige Kredite an Hedgefonds und andere herausgeben werden, damit diese (Anm. mit drohenden Abschreibungen) belastete Wertpapiere der Banken zu relativ hohen Kursen aufkaufen, ist im Wesentlichen vom Finanzsektor beeinflusst, und das Finanzministerium hat daraus auch keinen Hehl gemacht. Wie Neel Kashkari, verantwortlicher Ministerialbeamte im Finanzministerium sowohl unter Henry Paulson als auch unter Tim Geithner (und ehemaliger Goldman Sachs Mitarbeiter), im März vor dem Kongress aussagte: "Bei uns sind unaufgefordert Vorschläge von Privatleuten eingegangen, die besagen, "wir haben noch frisches Geld, wir wollen auf die (abschreibungsbedürftigen) Wertpapiere bieten." Und der Plan läßt genau dieses zu. "In dem man Geld der Regierung bzw. des Steuerzahlers mit dem Geld von privaten Anlegern zusammenführt und zur Finanzierung bereitstellt, kann man die Anleger dazu bewegen, auf diese Wertpapiere zu bieten zu einem Preis, der sowohl für die Anleger als auch für die Banken sinnvoll ist." Kashkari erwähnte nicht was für die dritte beteiligte Gruppe sinnvoll ist: Die Steuerzahler.
Eben weil die Fairness gegenüber dem Steuerzahler auf der Strecke bleibt, wenn die Regierung die Banken nur mit Samthandschuhen anfasst, muss man aus einem Grund tief besorgt sein: Es ist unangebracht, das Verhalten des Finanzsektors zu dessen Bedingungen zu ändern, zu einer Zeit, in der sich dieses Verhalten ändern muss (im Original: it is inadequate to change the behavior of a financial sector accustomed to doing business on its own terms, at a time when that behavior must change. Übersetzungsalternativen?). Ein nicht namentlich genannter leitender Bankangestellter sagte der New York Times im letzten Herbst:" Es spielt keine Rolle wieviel Hank Paulson uns gibt. Niemand wird uns einen Pfennig leihen, solange es mit der Wirtschaft nicht aufwärts geht." Und das ist der Punkt: Die Wirtschaft kann sich nicht erholen, solange die Banken nicht gesund sind und bereit Kredite zu vergeben.
Fortsetzung folgt
Der leise Staatsstreich Teil I, Teil II, Teil IV
Finanzkrisenbuchstabensuppe für Einsteiger
Wall Street ist ein Ponzi Scheme
Der Ein-Finger-Gruß
Kommt ein perfekter Sturm
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