Freitag, 10. April 2009

Der leise Staatsstreich

Aus Zeitgründen habe ich mich in den letzten Wochen etwas mit Blogbeiträgen zurückgehalten. Für diejenigen unter Euch, denen die Videos nicht so gefallen haben, habe ich jetzt zu Ostern ein Angebot zur Wiedergutmachung. Ein faszinierender Artikel vom ehemaligen IWF Chef-Ökonom Simon Johnson. Er betreibt auch den Blog "The Baseline Scenario", den ihr in meiner Blog-Liste findet. Ich bin auf ihn durch ein Interview mit Bill Moyers aufmerksam geworden. Er gehört für mich zu den wenigen Stimmen in diesem Dschungel, die es Wert sind auf sie zu hören.

Weil ich seinen Artikel so großartig finde, und ich befürchte, dass ihn niemand im Original liest, habe ich mir erlaubt, ihn zu übersetzen und hoffe, dass einige diese Einladung annehmen, auch wenn der Artikel relativ lang ist. Aber wir haben ja jetzt die Feiertage und da kann man sich den Artikel ja schön in vier Teilen peu a peu zu Gemüte führen. Euch muss also nicht langweilig werden über die Feiertage. Hier also der Artikel "The Quiet Coup", der in der Mai Ausgabe des "Atlantic" erscheint und jetzt schon online steht.


Der Crash hat viele unschöne Wahrheiten über die Vereinigten Staaten aufgedeckt. Eine der alarmierendsten ist, dass die Finanzindustrie quasi die Regierung übernommen hat, sagt ein ehemaliger IMF-Chefokönom - ein Zustand, der eher auf Schwellenländer zutrifft und im Zentrum von vielen Krisen von Schwellenländern steht. Wenn das IMF-Personal offen über die USA sprechen könnte, würde es den Rat geben, den sie allen Ländern in dieser Lage gibt: Es gibt keine Erholung bis wir mit der Finanzoligarchie gebrochen haben, die grundlegende Reformen blockiert. Und wenn wir eine wirkliche Depression verhindern wollen, wird die Zeit knapp.


Der leise Staatsstreich


Eines lernt man ziemlich schnell, wenn man beim Internationalen Währungsfonds (IWF/IMF) arbeitet: Niemand ist jemals sehr glücklich, wenn er dich sieht. Unsere "Kunden" suchen uns erst auf, nachdem privates Kapital geflohen ist, nachdem regionale Handelsblockpartner nicht in der Lage waren, eine genügend starke Rettungsleine zu reichen, nachdem ein letzter Versuch gescheitert ist, sich Mittel von mächtigen Freunden wie China oder der EU zu leihen. Du bist nie die erste Wahl.

Der Grund liegt natürlich darin, dass der IMF darauf spezialisiert ist, seinen Kunden das zu sagen, was sie nicht hören wollen; Ich muss das wissen. Während meiner Zeit beim IWF als Chefökonom in 2007 und 2008 drängte ich vielen ausländischen Vertretern schmerzliche Veränderungen auf. Und ich merkte die Folgen des Drucks des IMF, zumindest indirekt, als ich mit den Regierungen in Osteuropa zusammenarbeite, als sie sich nach 1989 abmühten, und auch bei der Privatwirtschaft in Asien und Lateinamerika während der Krise der späten 90 er und nach der Jahrtausendwende. Während dieser Zeit sah ich aus jedem Blickwinkel den stetigen Fluss von Offiziellen - aus der Ukraine, Russland, Thailand, Indonesia, Süd-Korea und sonst woher -, die sich zum Fonds schleppten, als die Umstände schlimm waren und alles andere versagt hatte.

Natürlich ist jede Krise anders. Die Ukraine erlebte in 1994 eine Hyperinflation; Russland brauchte dringend Hilfe, als ihr Finanzierungsplan für kurzfristige Verbindlichkeiten explodierte im Sommer 1998; die indonesische Rupiah verfiel in 1997 und planierte fast die private Wirtschaft; im gleichen Jahr endete das 30 jährige Wirtschaftwunder in Südkorea, als ausländische Banken sich plötzlich weigerten neue Kredite zu vergeben.

Aber ich muss Ihnen sagen, für IMF-Mitarbeiter sahen diese Krisen alle bedrückend gleich aus. Natürlich brauchte jedes Land einen Kredit, aber darüber hinaus musste jedes Land große Veränderungen durchführen, damit der Kredit auch wirklich wirken konnte. Fast immer müssen die Krisenländer nach einer Phase des Exzesses lernen, nicht über ihre Verhältnisse zu leben - Exporte mussten gesteigert und Importe verringert werden - und dabei ist das Ziel, eine fürchterliche Rezession zu vermeiden. Natürlich wenden die IMF-Ökonomen Zeit dafür auf, um die verschiedene Politiken zu entwerfen - Haushalt, Geldmarkt, und ähnliches - die in diesem Zusammenhang Sinn machen. Dennoch ist es selten schwierig die wirtschaftliche Lösung auszuarbeiten.

Nein, die wirklichen Bedenken der führenden IMF-Mitarbeiter und das größte Hindernis für eine Erholung bestehen meistens ausnahmslos in der Politik der Krisenländern.

Typischerweise sind die Länder aus einem einfachen Grund in einer verzweifelten wirtschaftlichen Lage: die mächtigen Eliten in den Ländern schossen in guten Zeiten über das Ziel hinaus und gingen zu viele Risiken ein. Regierungen von Schwellenländern und ihre Verbündeten im Privatsektor sind gemeinsam eng verbunden und bilden -meistens- eine vornehme Oligarchie, die das Land eher wie ein nach Gewinn strebendes Unternehmen führt, bei dem sie die Mehrheitsaktionäre sind. Wenn ein Land wie Indonesien oder Südkorea oder Russland wächst, dann wachsen gleichzeitig die Ambitionen der Wirtschaftskapitäne. Als Herrscher ihrer kleinen Welt investieren diese Leute sicher zum Nutzen der gesamten Wirtschaft, aber sie gehen gleichzeitig immer größere Wetten ein. Sie bemerken - in den meisten Fällen zu recht -, dass ihre politischen Verbindungen ihnen erlauben werden, alle auftauchenden wesentlichen Probleme bei der Regierung abzuladen.

In Russland ist zum Beispiel der private Sektor deswegen in Schwierigkeiten, weil er sich ungefähr über die letzten fünf Jahre mindestens 490 Mrd Dollar von internationalen Banken und Investoren geliehen hat, in der Annahme, dass der Energiesektor des Landes einen ständigen Anstieg des Energieverbrauchs in allen Bereichen befriedigen kann. Als die russischen Oligarchen ihr Kapital ausgaben, andere Firmen aufkauften und ehrgeizige Investitionspläne verfolgten, die Arbeitsplätze schufen, wuchs ihre Bedeutung für die politische Elite. Wachsende politische Unterstützung bedeutet besserer Zugang zu lukrativen Verträgen, Steuererleichterungen und Subventionen. Und ausländische Investoren hätten nicht mehr erfreut werden können; unter ansonsten gleichen Umständen leihen sie ihr Geld lieber an die Leute, die die unausgesprochene Unterstützung der heimischen Regierung haben, auch wenn diese Unterstützung einen leichten Hauch von Korruption verbreitet.

Aber die Schwellenländer-Oligarchen übertreiben zwangläufig. Sie verschwenden Geld und errichten große Firmenreiche auf einem Berg von Schulden. Heimische Banken sind zu sehr bereit immer mehr Kredite an diese Elite und an die von ihr Abhängigen zu geben - manchmal auf Druck der Regierung. Kreditexzesse gehen immer schlecht aus, sowohl für Einzelpersonen als auch für Unternehmen oder ein Land. Früher oder später werden die Kreditbedingungen strenger und niemand ist mehr bereit zu annähernd akzeptablen Bedingungen Geld (an diese) zu verleihen.

Die Abwärtsspirale die dann folgt ist bemerkenswert steil. Großé Unternehmen taumeln am Rande der Zahlungsunfähigkeit, und die heimischen Banken, die an sie Geld verliehen haben, brechen zusammen. Gestern noch "öffentlich-private Partnerschaft" (Public-Private-Partnership) genannt, heißt dies dann nur noch Vetternwirtschaft. Ohne Kredit folgt die wirtschaftliche Lähmung und die Verhältnisse werden schlechter und schlechter. Die Regierung ist gezwungen ihre ausländischen Währungsreserven zu reduzieren, um Importe zu bezahlen, Schulden zu bedienen und private Verluste abzudecken. Aber schließlich versiegen diese Reserven. Falls das Land sich nicht vorher selbst in Ordnung bringen kann, wird das Land seine Staatsschulden nicht mehr bedienen können und ein wirtschaftlich Aussätziger werden. In ihrem Bemühen, das Ausbluten zu stoppen, wird die Regierung einige der Wirtschaftsführer, die nun in Geldnot sind, beseitigen müssen und das aus der Balance geratene Bankensystem normalerweise neu aufbauen. Es wird also in anderen Worten zumindest einige der Oligarchen ausquetschen müssen.

Die Oligarchen auszuquetschen ist aber selten das Mittel der Wahl bei Regierungen in Schwellenländern. Ganz im Gegenteil: Am Anfang einer Krise erhalten die Oligarchen gewöhnlich zusätzliche Hilfen von der Regierung, z.B. bevorzugten Zugang zu ausländischer Währung oder vielleicht eine Steuerstundung oder - eine klassische Hilfstechnik des Kreml - die Übernahme von privaten Schuldinhaberverschreibungen durch den Staat. Unter Zwang nimmt die Großzügigkeit gegenüber alten Freunden sehr einfallsreiche Züge an. In der Zwischenzeit, weil man ja "jemanden" ausquetschen muss, wenden sich die Regierungen in Schwellenländern zunächst an die gewöhnliche, arbeitende Bevölkerung - zumindest solange die Aufstände nicht zu groß werden.

Letztlich, wie auch die Oligarchen in Putins Russland nun feststellen, müssen einige in den Eliten verdrängt werden, bevor die Erholung beginnen kann. Es ist die Reise nach Jerusalem: Es sind einfach nicht genügend Währungsreserven da, um sich um jeden zu kümmern, und die Regierung kann es sich nicht leisten alle privaten Schulden zu übernehmen.

Also schaut der IWF-Mitarbeiter dem Finanzminister tief in die Augen und entscheidet, ob es die Regierung jetzt ernst meint. Letzten Endes wird der Fonds selbst einem Land wie Russland einen Kredit geben, aber zuerst will er sicher gehen, dass Premier Putin bereit, willens und in der Lage ist, hart gegenüber ein paar von seinen Freunden zu sein.Wenn er nicht bereit ist, ehemalige Freunde den Wölfen vorzuwerfen, kann der Fonds warten. Und wenn er bereit ist, dann macht der Fonds gerne hilfreiche Vorschläge - besonders im Hinblick darauf, die Kontrolle über das Finanzsystem aus den Händen der am wenigsten kompetenten und habgierigsten "Unternehmer" zu entreißen.

Natürlich werden Putins Ex-Freunde zurückschlagen. Sie mobilisieren Verbündete, bearbeiten das System und üben Druck auf andere Teile der Regierung aus, um zusätzliche Subventionen zu bekommen. In Extremfällen unternehmen sie auch Umsturzversuche - Anrufe bei ihren Kontakten im amerikanischen Establishment der Außenpolitik inbegriffen, so wie es die Ukraine mit einigem Erfolgt in den späten 90´ern tat.

Manche IMF-Programme "laufen aus dem Ruder" (ein Euphemismus) genau weil die Regierung nicht hart bleiben kann gegenüber ehemaligen Günstlingen und die Folgen sind massive Inflation oder andere Katastrophen. Ein Programm kommt wieder in die Spur sobald die Regierung sich durchsetzt oder mächtige Oligarche unter sich selbst ausmachen, wer regieren wird - und daher gewinnen oder verlieren wird - unter dem IMF-gestütztem Plan. Der wirkliche Kampf 1997 in Thailand und Indonesien ging darum, welche Familien ihre Banken verlieren würden. In Thailand wurde es relativ reibungslos gehandhabt. In Indonesien führte es zum Sturz von Präsident Suharto und zu wirtschaftlichem Chaos.


Aufgrund langjähriger Erfahrung wissen die IMF-Mitarbeiter, dass ihr Programm, die Wirtschaft zu stabilisieren und Wachstum zu ermöglichen, erfolgreich sein wird,, falls nur zumindest einige der mächtigen Oligarche einen Schlag abbekommen, die die zugrunde liegenden Probleme geschaffen haben. Dies ist das Problem aller Schwellenländer.

Das Entstehen einer Bananen-Republik

Die Ausmaße und das plötzliche Auftreten der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzkrise erinnert in erschütternder Weise an Augenblicke, die wir erst kürzlich in Schwellenländern (und nur in Schwellenländern) gesehen haben: Südkorea (1997), Malaysia (1998), Russland und Argentinien (immer wieder). Jedes Mal zogen die internationalen Anleger ihre Kredite zurück, weil sie fürchteten die Ländern bzw. deren Finanzsektor könne die Schuldenberge nicht mehr abtragen. Und jedes Mal wurde die hausgemachte Angst bestätigt, weil Banken, die ihre Kredite nicht verlängern konnten, tatsächlich zahlungsunfähig wurden. Dies ist genau das, was die Lehman Bros. am 15. September 2008 in die Pleite trieb, was alle Finanzierungsquellen des US-Finanzsektors über Nacht austrocknen ließ. Wie bei einer Krise in einem Schwellenland breitete sich die Schwäche des Finanzsystems schnell im Rest der Wirtschaft aus, was wiederum einen wirtschaftlichen Abschwung und Not für Millionen verursachte.


Aber es gibt eine stärkere und beunruhigendere Parallele: Die Interessen der Wirtschaftselite - Finanziers im Fall USA - spielten bei der Entstehung der Krise eine zentrale Rolle, in dem immer größere Wetten mit der unausgesprochenen Zustimmung der Regierung abgeschlossen wurden bis zum unausweichlichem Zusammenbruch. Noch alarmierender ist, dass sie nun ihren Einfluss nutzen um die dringend benötigten Reformen zu blockieren, um einen weiteren Absturz der Wirtschaft zu verhindern. Die Regierung erscheint im Kampf gegen sie hilflos oder unwillig. Führende Investmentbanker und Regierungsvertreter sehen die Ursache der aktuellen Krise in den Zinssenkung nach der dot.com- Blase oder - noch besser - in einer Schwarzer Peter Spiel in einer Geldflut aus China. Einige Anhänger des rechten Flügels beschuldigen gerne Fannie Mae und Freddie Mac, oder die langfristigen Bemühungen mehr Leuten Immobilienbesitz zu verschaffen. Und, natürlich, hat die für ein sicheres Finanzwesen verantwortliche Aufsicht grundsätzlich fest am Steuer geschlafen.

Aber diese verschiedenen Gründe - lasche Regulierung, billiges Geld, die ungeschriebene chinesisch-amerikanische Allianz, die Förderung von Hauseigentum - haben eines gemeinsam. Auch wenn einige traditionell mit den Demokraten in Zusammenhang gebracht werden und andere mit den Republikanern, sie haben alle dem Finanzsektor genutzt. Politikwechsel die die Krise hätten abwenden können, aber gleichzeitig die Gewinne des Finanzsektors beschränkt hätten, wurden ignoriert oder beiseite gewischt, so wie der mittlerweile berühmte Versuch von Brooksley Born bei der Commodity Future Trading Commission 1998 die credit default swaps zu regulieren.

Die Finanzindustrie genoss nicht immer eine so bevorzugte Behandlung. Aber ungefähr über die letzten 25 Jahre gab es einen Boom und der Finanzsektor wurde immer mächtiger. Der Boom begann mit der Reagan-Ära und er wurde nur stärker durch die Deregulierung der Clinton- und Bush-Administrationen. Einige andere Faktoren halfen ebenfalls beim Aufstieg der Finanzindustrie. Paul Volckers Geldpolitik in den 1980´ern und die damit verbundene erhöhte Volatilität (Schwankungen) der Zinssätze machten den Anleihehandel wesentlich lukrativer. Die Erfindung der Kreditverbriefung (securitazation), Zinswaps und Kreditausfallversicherungen (credit default swaps) haben das gewinnbringende Handelsvolumen beträchtlich anwachsen lassen. Eine alternde und zunehmend wohlhabendere Bevölkerung legte immer mehr Geld in Wertpapieren an, unterstützt durch die Einführung von Pensionsfonds für die private Alterssicherung. Zusammengenommen steigerten diese Entwicklungen die Gewinnmöglichkeiten des Finanzdienstleistungssektors enorm.

Es überrascht nicht, dass die Wall Street sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ. Von 1973 bis 1985 betrug der Anteil des Finanzsektors an den Unternehmensgewinnen nie mehr als 16 Prozent. In 1986 erreichte der Anteil 19 Prozent. In den 1990´ern schwankte er zwischen 21 und 30 Prozent und damit so hoch wie nie in der Nachkriegszeit. Dieses Jahrzehnt erreichte der Anteil dann 41 Prozent. Die Gehälter stiegen genauso dramatisch. Von 1948 bis 1982 schwankte die durchschnittliche Vergütung zwischen 99 und 108 Prozent im Vergleich zum Durchschnitt der privaten US-Unternehmen. Von 1983 an schoss dieser Anteil nach oben auf 181 Prozent in 2007.

Der große Reichtum den der Finanzsektor schuf und anhäufte gab Bankern enormes, seit der Ära von J.P. Morgan (die Person) nicht mehr gekanntes, politisches Gewicht. Zur damaligen Zeit konnte die Bankenpanik von 1907 nur durch die Koordination zwischen den Privatbankern gestoppt werden: Keine Regierungsstelle war in der Lage eine wirksame Lösung zu liefern. Aber dieses erste Zeitalter von Bankoligarchen endete, als einschneidende Regularien erlassen wurden als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise (Great Depression 1929-1933). Der Wiederaufstieg der amerikanischen Finanzoligarchie ist sehr aktuell.

(Teil 1 von 4) Fortsetzung folgt über die Ostertage.

Der leise Staatsstreich (Teil II)

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