Samstag, 11. April 2009

Der leise Staatsstreich (Teil II)


Dies ist der zweite Teil des Artikels "The Quiet Coup" vom ehemaligen IWF-Chef-Ökonom Simon Johnson, in dem er beschreibt, wie die Wall Street es über die Jahre fertig gebracht hat, die politischen Entscheidungsträger in Washington so zu beeinflussen, dass letztlich die Interessen der USA hinter denen der Finanzindustrie zurückgestellt wurden.

Wer den ersten Teil der Übersetzung verpasst haben sollte, kann hier klicken. Übersetzungsfehler oder Verbesserungsvorschläge bitte als Kommentar.

Der leise Staatsstreich (Teil II)

Der Verbindungsgang zwischen Wall Street und Washington



Natürlich, die USA sind einzigartig. Und genau wie wir die am besten entwickelten Finanzmärkte haben, das beste Militär und die beste Technologie, haben wir auch die am besten entwickelte Oligarchie.

In einem primitiven politischen System wird die Macht durch Gewalt ausgeübt oder die Drohung mit Gewalt: Militärputsche, private Milizen und so weiter. In einem weniger primitiven System wie typischerweise in Schwellenländern, wird die Macht durch Geld vermittelt: Bestechung, Rückvergütung und Auslandskonten. Zwar spielen Lobbyisten und Wahlkampfspenden sicherlich eine große Rolle im politischen System der USA, altmodische Korruption - mit 100 Dollarnoten gefüllte Umschläge - ist heute möglicherweise nur noch ein Nebenkriegsschauplatz trotz Jack Abramoff (ein wegen Betruges verurteilter Lobbyist aus dem Lager der Republikaner).

Statt dessen gewann die amerikanische Finanzindustrie dadurch an politischer Macht, dass sie eine Art von kulturellem Kapital anhäufte: Ein Glaubenssystem. Was einmal vielleicht gut war für General Motors, war auch gut für das ganze Land. Seit dem letzten Jahrzehnt hat sich die Einstellung durchgesetzt, dass was für die Wall Street gut ist, ist auch gut für das Land. Die Finanzindustrie wurde zu einem der größten Wahlkampffinanzierer, aber auf ihrem Höhepunkt an Einfluss, musste sie sich nicht mit Gefälligkeiten freikaufen, wie zum Beispiel die Zigaretten- oder Rüstungsfirmen. Statt dessen profitierten sie von dem Umstand, dass die Washingtoner Insider bereits selbst glaubten, dass große Finanzinstitute und ein freier Kapitalmarkt wesentlich für Amerikas Rolle in der Welt waren.

Ein Kanal der Einflussnahme war selbstverständlich der Austausch von Personen zwischen Wall Street und Washington. Robert Rubin, einst Vize-Chef von Goldman Sachs, diente in Washington unter Clinton als Finanzminister und wurde später Vorstandschef von Citigroup. Henry Paulson, Vorstandschef von Goldman Sachs während der langen Boomphase, wurde Finanzminister unter George W. Bush. John Snow, der Vorgänger von Paulson, wurde nach seinem Ausscheiden Chef von Cerberus Capital Management, einem großen Private-Equity-Fonds zu dessen Vorstand auch Dan Quayle gehört. Nachdem Alan Greenspan die FED verließ, wurde er Berater von PIMCO, der vielleicht größten Nummer im internationalen Anleihegeschäft.

Diese persönlichen Verflechtungen vervielfachten sich auf den Ebenen darunter während der letzten drei Präsidentschaften, und verstärkten die Verbindungen zwischen Wall Street und Washington. Es ist zu einer Art Tradition geworden, dass Mitarbeiter von Goldman Sachs nach ihrem Ausscheiden in den Staatsdienst wechseln. Dieser Fluss von Ehemaligen von Goldman Sachs - einschließlich Jon Corzine, jetzt Governeur von New Jersey, zusammen mit Rubin und Paulson - platzierte nicht nur Leute mit der Weltsicht von Goldman Sachs in die Hallen der Macht, sondern half auch Goldman Sachs ein Bild von sich selbst als einer Art von öffentlicher Insitution zu erschaffen.

Wall Street ist ein sehr verführerischer Ort, getränkt mit einem Hauch von Macht. Ihre Vorstände glauben wirklich, dass sie an den Hebeln sitzen, die die Welt bewegen. Einem Staatsbediensteten aus Washington, der in ihre Konferenzräume eingeladen wurde, wenn auch nur für ein Meeting, könnte vergeben werden, falls er ihrem Einfluss erläge. Während meiner Zeit beim IMF war ich davon beeindruckt, wie leicht führende Banker Zugang zu höchsten US-Regierungsvertretern bekamen und von den Überschneidungen der beiden Karrierepfade. Ich erinnere mich lebhaft an ein Treffen Anfang 2008 von höchsten Politikern aus einer handvoll reicher Länder, bei dem der Vorsitzende beiläufig unter dem allgemeinem Beifall der Anwesenden erwähnte, dass es die beste Vorbereitung sei, zunächst als Investmentbanker zu arbeiten, um Zentralbankchef zu werden.

Eine ganze Generation von Politikern war fasziniert von Wall Street, immer und vollständig überzeugt, dass alles wahr sei, was auch immer die Banken sagten. Die Äußerungen von Alan Greenspan zugunsten von unregulierten Finanzmärkten sind wohl bekannt. Aber Greenspan war bei weitem nicht allein. Das sagte sein Nachfolger Ben Bernanke in 2006: "Das Management von Markt- und Kreditrisiken ist immer durchdachter geworden ... Finanzorganisationen jeder Größe haben in den letzten beiden Jahrzehnten substantielle Fortschritte in ihrer Fähigkeit Riskiken zu messen und zu managen gemacht.


Natürlich war dies zum großen Teil nur eine Illusion. Fast alle Regulierer, Gesetzgeber und Wissenschaftler haben angenommen, dass die Manager dieser Banken wussten, was sie taten. Rückblickend wussten sie es nicht. Die Abteilung der AIG für Finanzinnovationen (AIGFP) machte zum Beispiel in 2005 einen Vorsteuergewinn von 2,5 Mrd Dollar, größtenteils durch den Verkauf von zu billigen Versicherungen für komplexe, schlecht verstandene Wertpapiere. Diese Strategie, die auch "Kleingeld vor einer Dampfwalze einsammeln" genannt wird, ist in gewöhnlichen Jahren profitabel und in schlechten katastrophal. Wie im letzten Herbst als AIG Versicherungen für Wertpapiere im Wert von 400 Mrd Dollar ausgereicht hatte. Heute ist die US-Regierung mit rund 180 Mrd Dollar bei AIG durch Beteiligungen und Krediten engagiert, um Verluste abzudecken,die laut dem ausgeklügelten Risikomodell von AIG eigentlich angeblich unmöglich waren.

Wall Street verführerische Macht reichte sogar oder gerade bis zu den Professoren für Finanzen und Wirtschaft, die seit jeher eingepfercht sind in enge Büros von Universitäten und auf der Jagd nach Nobelpreisen. Als die Finanzmathematik immer wichtiger für die Praxis wurde, übernahmen die Professoren zunehmend Positionen als Berater oder Partner von Finanzinstitutionen. Myron Scholes und Robert Merton, beides Nobelpreisträger, waren die vielleicht berühmtesten. Sie waren beide 1994 im Vorstand des Hedgefonds LTCM (Long Term Capital Management), bevor der Fonds bekanntermaßen Ende des Jahrzehnt in Rauch aufging. Aber viele andere schlugen ähnliche Wege ein. Diese Wanderung gab der aufkeimenden Welt der Hochfinanz das Siegel der wissenschaftlich Legitimation (und die sofortige Aura der intellektuellen Strenge).

Da immer mehr der Reichen ihr Geld mit Finanzgeschäften machten, sickerte der Finanzkult auch in breitere Schichten durch. Bücher wie "Babarians at the Gate", "Wall Street" und "Bonfire of the Vanities" - alle sollten warnende Erzählungen sein - unterstützten nur den wachsenden Wall Street Mythos. Michael Lewis merkte in seinem Buch "Portfolio" aus letztem Jahr an, dass, als er Liars Poker 1989 schrieb, gehofft hatte, einen Aufschrei über die Hybris und Exzesse von Wall Street zu provozieren. Aber statt dessen fand er sich knietief in Briefen von Studenten der Ohio Universität wieder, die wissen wollten, ob er noch mehr solcher Geheimnisse mitteilen könne. "Sie hatten mein Buch als Gebrauchsanweisung verstanden." Auch die Kriminellen von Wall Street, wie Mike Milken und Ivan Boesky, wurden überlebensgroß. In einer Gesellschaft, die die Idee des Geldverdienens hochjubelt, ist es einfach abzuleiten, dass die Interessen des Finanzsektor sich mit den Interessen des Landes decken - und dass die Gewinner aus dem Finanzsektor besser wüßten was gut für das Land ist als die Staatsdiener in Washington. Der Glaube in freie Finanzmärkte wurde zur Alltagsweisheit - herausposaunt auf der Leitartikelseite des Wall Street Journals und im Kongress.

Aus dem Zusammenspiel von Wahlkampffinanzierung, persönlichen Verbindungen und Ideologie entsprang im letzten Jahrzehnt ein Fluß von Deregulierung, der rückblickend erstaunlich ist:

  • freier internationaler Kapitalverkehr
  • die Aufhebung der Regularien aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise mit der Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken
  • Vebot des Kongresses credit default swaps zu regulieren
  • wesentlich höhere Kreditaufnahme durch Investmentbanken zugelassen, so dass ein höheres leverage erlaubt war.
  • schwache (um nicht zu sagen nicht vorhandende) Zügel der Börsenaufsicht SEC bei der Durchsetzung der Regeln
  • internationales Abkommen, dass die Banken ihre Risikoanfälligkeit selbst messen dürfen
  • und ein absichtliches Ausbleiben von neuen Regularien, die für die Finanzinnovationen notwendig gewesen wären.

Die diese Maßnahmen begleitende Stimmung schien in Washington zwischen Gleichgültigkeit und ausgelassener Feierstimmung zu pendeln. Ungezügelte Finanzen, so dachte man, würden die Wirtschaft immer weiter zu neuen Höhen antreiben.

Fortsetzung folgt über die Ostertage.
Der leise Staatsstreich Teil I, Teil III)


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